Die Lennershofsiedlung in Bochum ist ein typischer Vertreter der grauen Architektur. Eine Wohnsiedlung aus den 50er Jahren, schnell hochgezogen, weil man Wohnraum brauchte und keinerlei Anspruch an die Architektur zu stellen hatte. Im wesentlichen wohl im Eigentum der Wohnungsbaugesellschaft VBW ist der Lennershof eine jener vielen gleichartigen Siedlungen, die dieses Ruhrgebiet beim Durchfahren so grau und piefig machen. Vor den Häusern Grasfläche, dahinter auch. Früher gabs da mal Wäschestangen.
Zugegeben: Die Bebauung ist relativ dünn, nach sechzig Jahren Vernachlässigung ist einiges an Bäumen da. Ein paar Häuser wurden von der VBW verkauft und sind in den letzten beiden Jahren buntig angemalt worden. Definitiv ein Gewinn – wie’s vorher aussah, kann man auf Googles Streetview noch nachvollziehen. Trotzdem verfiel die Siedlung zunehmend. Was den Lennershof von den anderen gleichartigen Ecken unterscheidet: Er liegt direkt neben der Uni. Den Unis, um genau zu sein, nämlich zwischen der RUB und der heutigen Hochschule, der Ex-FH. Er liegt direkt neben der U35. Er liegt nah an der A43/A44.
Und er gehört wie gesagt der VBW, und die sieht vermutlich ein hohes Sanierungspotential bei der alten „Schlichtbebauung“ und große ungenutzte Flächen, auf denen man eigentlich neu und zeitgemäß bauen und Geld verdienen könnte. Und es gibt die Stadt, die irgendwie vorwärts kommen will, und für die die Uni das mittlerweile größte (und so ziemlich noch einzig vorhandene) Zukunftspotential darstellt. Und die Wohnraum für Studenten braucht. Wofür sich alles, wo „Uninähe“ dransteht, nunmal anbietet.
Also wurde das Gebiet richtigerweise 2007 zum Stadtumbaugebiet erklärt. Man wollte abreißen am Lennershof und neu bauen, am Besten ein bisschen modern. Und zwar an der Ecke, in der heute schon die Uni in ein paar der Schlichtbauten eingezogen ist, schräg gegenüber des neuen Ingenieursgebäudes ID.
2008 kam man mit einem Ideenwettbewerb um die Ecke, und gab dafür 100.000 Euro aus. Dessen erster Preis, ein Entwurf der Luczac-Architekten aus Köln, war ziemlich spannend: Ein runder, zweigeteilter Baukörper mit portalartigen Durchlässen, umgeben von kleineren Einheiten. Diese „Arena“ hätte einen Innenhof geschaffen, über den aus man vom Nordostzipfel der RUB auf die Brücke über die Unistraße spaziert wäre:
Das ganze hätte einen schönen Brückenschlag bilden können von den Unis zum auf der anderen Seite der Unistraße liegenden Aspei mit seinen Studentenwohnheimen. Es hätte ein paar Nahversorgungsmöglichkeiten für die Studierenden an der Hochschule geschaffen, die nicht immer durch die Uni bis ins Unicenter gemusst hätten. Es hätte die Hochschule und die RUB weiter verbunden. Es hätte mehr Bewohner in die Nähe des Buscheyplatzes gebracht, an dem sich dann vielleicht dochmal noch eine zweite Kneipe halten würde. Eigentlich wär’s eine feine Sache geworden.
Womit man mal wieder nicht gerechnet hatte, waren die Anwohner, die ihre heruntergekommene Siedlung liebgewonnen hatten. Bochumer und Neuerungen, das geht nicht gut. Die Anwohner taten also erstmal nix, und schrien dann 2009 laut auf ob der geplanten Veränderung. Beschwerten sich, dass sie erstens nichts mitgekriegt hätten (dabei stands schon 2008 groß in der Zeitung). Dass ihre Kinder keine Spielplätze mehr finden würden. Dass aber Kinder dann in der Arena spielen würden, und dass das eine Lärmbelästigung sei, wie schon am Buscheyplatz. Dass Bäume gefällt werden würden (das zieht immer, weil wir ja Grüne im Stadtrat an der Macht haben). Dass man nun befürchte, die angeblich vorhandene kuschelig-idyllische Atmosphäre des Viertels zu verlieren. (Nochmal zur Erinnerung: Spätestens seit 2007 war klar, dass die Stadt bauliche Veränderungen in diesem Gebiet vorhat. Wer in den letzten fünf Jahren hier her zog, konnte das wissen.) Hauptzielgruppe jeder Entwicklung an dieser Stelle sollten gefälligst Familien sein, „junge“ am besten. Punkt. Warum eigentlich?
Worauf die Stadt Bochum postwendend Panik vor Stuttgart’schen Wutbügern bekam (von denen eine auch noch eine SPD-Ratsfrau war), und 2011 einen „Moderationsprozess“ einstieg (Kosten: Nochmal 20.000 Euro), den die Anwohner – liest man im Abschlussbericht zwischen den Zeilen – nach Kräften torpedierten. Des lieben Friedens willen (und auch weil man bei der Arena technische Realisierungsschwierigkeiten beim erwünschten phasenweisen Bau befürchtete) wurde durch die Stadt entschieden, das Konzept der Arena nicht weiter zu verfolgen. 300 potentielle Wutbürger blockierten ein wichtiges Entwicklungsprojekt einer 300.000-Einwohnerstadt. Und, wie das so üblich ist in Bochum: Niemand interessierte sich wirklich dafür.
Man hat sich also Stadt- und Investorseitig von einer mutigen Lösung verabschiedet und sich nochmal die Wettbewerbsergebnisse angesehen. Der dritte Preis des Wettbewerbs (von Heinle, Wischer und Partner) stand sichtbar Pate für den heutigen Bebauungsplan (gegen den die Anwohner natürlisch weiterhin protestieren). Schräg gegenüber ID steht ein solitäres turmartiges Gebäude, dahinter fächern sich in der üblichen wohnbauland-langweiligen Standardanordung ein paar Riegel auf. Vom Wettbewerb abweichend wird (schließlich will die VBW in dieser potentiell hochpreisigen Lage Wohn- und Bürofläche zum Vermieten schaffen), ein großer, S-förmiger Gebäudekomplex geplant, der den Weg von der Uni zur Brücke über die Uni-Straße auf der linken Seite wohl recht massiv begleiten wird, dafür aber billig zu bauen sein wird. Hurrah.
So von oben gesehen erinnert mich das an ein großes Fragezeichen. Ich finde, das passt. Vom Brückenschlag ist nichts mehr übrig. Von spannender Architektur auch nicht. Da wirds ein paar langweilige mittelgroße und ein noch langweiligeres großes Haus geben, die irgendwie im Weg rumstehen, und einen Weg, den im Dunkeln keine Frau gehen möchte – links ein Riesengebäude, rechts Wiese oder Gestrüpp, dunkel. Die Aufenthaltsqualität in diesem Neubaugebiet wird gleich Null sein. Da ist keine Struktur, kein Platz, kein nichts. Kein Edeka und kein Eiscafé, keine Bäume, kein Platz zum Spielen für kleine und große Kinder. Kein Leben, kein kleines Zentrum für’s Viertel. Mit dem ursprünglichen Wettbewerbssieger hätte man das alles haben können.
Die dauernölenden Anwohner haben sich diese neue Bochumer Langweilerei selbst zuzuschreiben. Sie haben nichts Besseres verdient. Die Uni, die Hochschule, die Studenten und die Stadt Bochum eigentlich schon.